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Metropolit Hilarion (Alfeyev): Alles in meinem Leb…

Metropolit Hilarion (Alfeyev): Alles in meinem Leben verdanke ich der Kirche Interview anlässlich seines 50. Geburtstags

An der Schwelle zu seinem 50. Geburtstag gab Metropolit Hilarion von Volokolamsk, Leiter der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen des Moskauer Patriarchats, ein Interview für die Website „Pravoslavie i mir“ [Orthodoxie und Welt]. Darin gibt er Auskunft, wie er zum Glauben an Gott gekommen ist wie auch über sein Verständnis von Leben und Tod, sein neues Buch und seine Gaben als Autor.

 

Verehrter Herr Metropolit, es ist kaum zu glauben, aber Sie werden bald fünfzig. Als Sie entschieden haben, die Mönchsweihe zu empfangen, haben Sie dabei zugleich eine Vorstellung über sich selbst im Alter von zwanzig, dreißig, vierzig oder fünfzig Jahren gehabt? Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Als ich die Mönchsweihe empfing, war ich zwanzig Jahre alt und habe natürlich nicht an mich selbst im Alter von dreißig oder fünfzig Jahren gedacht. Ich lebte für diesen Augenblick. Doch ich hatte nie irgendeinen Zweifel daran, dass ich mein Leben der Kirche widmen will, dass ich mein Leben so und nicht anders führen will. Und in den letzten dreißig Jahren gab es keinen einzigen Anlass zur Enttäuschung. Es gab keinen Tag, keine einzige Minute, diese Entscheidung zu bereuen.

Alles in meinem Leben verdanke ich der Kirche. Einige Leute haben mich gefragt: „Warum haben Sie sich auf die Kirche eingelassen? Sie hätten sich doch mit Kunst befassen können, ein Orchester dirigieren, Musik schreiben.“ Für mich war der Dienst in der Kirche immer das Wichtigste, alles andere hat sich um diesen Grundstock herum entwickelt. Und am wichtigsten war es für mich immer, Christus zu dienen.

In all diesen Jahren habe ich Christus verkündigt und Ihn wieder und wieder für mich entdeckt. Ich verkündige Christus durch Bücher, durch Musik, durch Fernsehprogramme und Filme. Doch all diese Tätigkeit war nicht dadurch motiviert, dass ich jemandem etwas sagen oder beweisen wollte. Wenn ich schreibe oder spreche, dann entdecke ich vor allem etwas für mich selbst, ich lasse es durch mich hindurchgehen, und dann gebe ich es anderen weiter. Leben in Christus, Leben in der Kirche ist sehr interessant, sehr reichhaltig, und ich möchte dieses Leben mit den Menschen teilen, die sich, aus welchem Grunde auch immer, außerhalb der Kirche befinden, für die der Glaube nicht der entscheidende Antrieb ihres Lebens ist. Ihnen möchte ich erklären, was der Glaube gibt, was Christus gibt.

 

In einem Ihrer Interviews haben Sie davon gesprochen, dass die Frage des Todes Sie von sehr jungen Jahren an beschäftigt. Wie kam diese Frage bei Ihnen zum ersten Mal auf, wie hat sich Ihr Verständnis gewandelt?

Sie mögen überrascht sein, aber die Frage des Todes stellte sich mir zum ersten Mal im Kindergarten. Ich war fünf oder sechs Jahre alt, und plötzlich wurde mir bewusst, dass wir alle eines Tages sterben werden: Ich werde sterben, alle Kinder um mich herum werden sterben. Ich begann darüber nachzudenken und mir selbst und Erwachsenen Fragen zu stellen. Heute erinnere ich mich weder an diese Fragen noch an die Antworten, die ich erhielt. Ich erinnere mich nur, dass dieser Gedanken mich mit aller Schärfe durchdrang und mich lange nicht losließ.

Auch in meiner Jugend dachte ich viel über den Tod nach. Mein Lieblingsdichter war Federico Garcia Lorca: ich habe ihn für mich in sehr jungen Jahren entdeckt. Das grundlegende Thema seiner Poesie ist der Tod. Ich kenne keinen Dichter, der so viel über den Tod nachgedacht und geschrieben hat. Ja, er hat durch seine Dichtung bis zu einem gewissen Grad seinen eigenen tragischen Tod vorweggenommen und durchlebt.

Als ich die Schule abschloss, komponierte ich für das Schlussexamen das Werk „Vier Gedichte von Garcia Lorca“. Es war ein Vokalzyklus für Tenor und Klavier zu seinen Worten. Viele Jahre später machte ich daraus eine Version für Orchester und benannte sie um in „Lieder vom Tod“. Alle vier Gedichte, die ich für diesen Zyklus ausgewählt habe, handeln vom Tod.

 

Warum hat dieses Thema sie so stark beschäftigt?

Vermutlich weil von der Antwort auf die Frage, warum der Mensch stirbt, die Antwort auf die Frage abhängt, wozu er lebt.

 

Hat sich etwas geändert, als sie aktiv ihr kirchliches Leben begannen?

Es fügte sich so, dass mein Eintritt in das aktive kirchliche Leben mit einigen Todesfällen zusammentraf, die mich sehr tief bewegten.

Zunächst starb mein Geigenlehrer Vladimir Nikolaevitch Litvinov. Damals war ich etwa zwölf Jahre alt. Ich habe ihn sehr geliebt, er war für mich eine ungeheure Autorität. Er war ein außerordentlich intelligenter, zurückhaltender, feinfühliger Mann, der sein Fach ausgezeichnet verstand und seinen Schülern hohe Achtung entgegenbrachte. Alle verehrten ihn. Er war noch sehr jung – ungefähr vierzig, nicht mehr.

Eines Tages kam ich zur Schule, und man sagte mir: Litvinov ist gestorben. Zunächst dachte ich, dass jemand mir einen Streich spielen wollte. Doch dann sah ich sein Porträt im schwarzen Rahmen. Er war einer der jüngsten Lehrer. Es traf sich, dass er gerade zur Zeit des Examens starb, als sein Schüler spielte. Plötzlich spürte er einen Schmerz im Herzen, er brach zusammen, die Ambulanz wurde gerufen, doch statt zur Frunse-Straße fuhren sie zur Timur-Frunse-Straße. Und als sie schließlich nach 40 Minuten ankamen, war er bereits tot. Ich nahm an seiner Beerdigung teil, es war der erste Todesfall in meinem Leben.

Nach einiger Zeit starb meine Großmutter, dann ihre Schwester, meine Großtante, und dann starb mein Vater. All dies geschah in schneller Abfolge, und natürlich stellte sich mir die Frage nach dem Tod ständig nicht als irgendeine theoretische Frage, sondern als etwas, das um mich herum mir nahestehenden Menschen widerfuhr. Und ich begriff, dass nur der Glaube eine Antwort auf diese Frage gibt.

 

Haben Sie jetzt ein inneres Verständnis dessen, was der Tod bedeutet? Ich kann das alles z.B. auf intellektueller Ebene verstehen, aber innerlich kann ich nicht akzeptieren und verstehen, wie geliebte Menschen uns für immer verlassen ...

Der Mensch besteht nicht nur aus Vernunft, sondern hat auch ein Herz und einen Leib. Auf solche Ereignisse reagieren wir mit unserer gesamten Existenz. Selbst wenn wir also mit der Vernunft verstehen, weshalb das geschieht, selbst wenn der Glaube uns stärkt, um solche Ereignisse zu überstehen, so lehnt sich doch unser gesamtes menschliches Wesen gegen den Tod auf. Und das ist natürlich, weil Gott uns nicht für den Tod erschaffen hat. Er hat uns für die Unsterblichkeit geschaffen.

Wie es scheint, müssen wir auf den Tod vorbereitet sein, jeden Abend sprechen wir zu uns selbst, wenn wir schlafen gehen: „Wird etwa dieses Bett mein Grab sein?“ Und wir sehen die Welt im Licht dieses Ereignisses des Todes, der jeden Menschen zu jedem beliebigen Zeitpunkt treffen kann. Nichtsdestoweniger kommt der Tod immer unerwartet, und innerlich protestieren wir gegen ihn. Jeder Mensch sucht seine eigene Antwort, und sie erschöpft sich nicht allein in logisch konstruierten Argumenten aus einem Lehrbuch der Dogmatik.

Eines der Werke, die in meiner Kindheit und Jugend einen starken Eindruck auf mich ausübten, war die 14. Symphonie von Schostakovitch. In einem erheblichen Maße unter dem Eindruck dieses Werkes schrieb ich meine „Lieder über den Tod“. Ich hörte diese Symphonie damals viele Male und dachte viel darüber nach, warum Schostakovitch an seinem Lebensabend gerade ein solches Werk schrieb. Er selbst nannte es „Protest gegen den Tod“. Doch in seiner Behandlung gab dieser Protest keinen Ausweg in eine andere Dimension. Wir können gegen den Tod protestieren, und dennoch kommt er. Das bedeutet: Wichtig ist nicht einfach zu protestieren, sondern wichtig ist, über den Tod nachzudenken, zu verstehen, wozu er kommt und was uns in diesem Zusammenhang erwartet. Und die Antwort darauf gibt der Glaube, und nicht einfach der Glaube an Gott, sondern der christliche Glaube.

Wir glauben an Gott, der gekreuzigt wurde und am Kreuz starb. Das ist nicht einfach ein Gott, der von irgendwo aus himmlischer Höhe auf uns herabschaut, uns beobachtet und für die Sünden bestraft und zu guten Taten ermuntert, der Mitleid hat, wenn wir leiden. Es ist ein Gott, der zu uns gekommen und einer von uns geworden ist, der unter uns Wohnung genommen hat durch das Sakrament der Kommunion und der mit uns ist, auch wenn wir leiden und wenn wir sterben. Wir glauben an Gott, der uns gerettet hat durch sein Leiden, sein Kreuz und seine Auferstehung.

Oft wird gefragt: Warum musste Gott den Menschen gerade auf diese Weise retten? Hatte er wirklich keine anderen, weniger „schmerzhaften“ Mittel? Warum war es unbedingt nötig, dass Gott selbst den Durchgang durch das Kreuz auf sich nahm? Meine Antwort darauf ist folgende: Es besteht ein Unterschied zwischen einem Menschen, der vom Schiff aus sieht, wie jemand über Bord gefallen ist, ihm einen Rettungsring zuwirft und mitleidig zusieht, wie der andere sich aus dem Wasser rettet – und einem Menschen, der für die Rettung des anderen sein eigenes Leben riskiert, sich in die stürmischen Wogen des Meeres wirft und sein Leben gibt, damit der andere leben kann. Gott hat entschieden, uns gerade auf diese Weise zu retten. Er warf sich in das tosende Meer unseres Lebens und gab Sein Leben hin, um uns vom Tod zu retten.

 

Das ist ein umwerfend starkes Bild, wie es mir noch nie begegnet ist, und es ist wirklich sehr verständlich.

Ich verwende dieses Bild in meinem Katechismus, den ich gerade fertiggestellt habe. Dort habe ich versucht, die Grundlagen des orthodoxen Glaubens in einer einfachen Sprache darzulegen, und ich habe Bilder benutzt, die dem heutigen Menschen verständlich sind.

 

Worin unterscheidet sich Ihr Katechismus von demjenigen, den die Synodale Biblisch-Theologische Kommission unter Ihrer Leitung erarbeitet? Warum brauchte es einen weiteren Katechismus?

In der Synodalen Biblisch-Theologischen Kommission schreiben wir seit vielen Jahren einen umfangreichen Katechismus. Die Idee bestand darin, ein grundlegendes Werk zu verfassen, das eine ausführliche Darlegung des orthodoxen Glaubens enthalten soll. Die Aufgabe wurde mir übertragen, als ich noch nicht Vorsitzender der Kommission war, die damals von Metropolit Philaret von Minsk geleitet wurde. Es wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, wir begannen zunächst den Inhalt des Katechismus zu diskutieren, dann haben wir das Konzept festgelegt und schließlich wurde eine Gruppe von Autoren ausgewählt.

Leider haben einige der Autoren so geschrieben, dass wir die Früchte ihrer Arbeit nicht verwenden konnten. Manche Abschnitte mussten wir ein zweites oder drittes Mal vergeben. Nach einigen Jahren intensiver Arbeit hatten wir schließlich einen Text, den wir in Plenarsitzungen zu diskutieren begannen, und wir sammelten Stellungnahmen der Mitglieder der Theologischen Kommission. Endlich stellten wir den Text der Kirchenleitung zur Verfügung. Zur Zeit ist der Text mit der Bitte um Stellungnahmen versandt, und die ersten Reaktionen sind bereits eingetroffen.

Vor einigen Tagen habe ich einen Brief von einem ehrwürdigen Mitglied der Hierarchie erhalten, der eine Stellungnahme zum Text unseres Katechismus beilegt, ausgearbeitet in seiner Eparchie. Diese Stellungnahme enthält viel Lob, doch es heißt auch, der Katechismus sei zu lang, enthalte zu viele unnötige Einzelheiten – und der Katechismus solle kürzer sein.

Als wir die Konzeption dieses Katechismus erarbeiteten, bestand unsere Idee darin, ein großes Buch zu schreiben, das im einzelnen über die Lehren der Orthodoxen Kirche, über Kirche und Gottesdienst sowie über das sittliche Leben spricht. Doch jetzt, nachdem wir dieses große Buch mit Hilfe großer gemeinschaftlicher Anstrengungen geschrieben haben, sagt man uns: „Aber wir brauchen ein kleines Buch. Gebt uns ein Buch, das wir einem Menschen geben können, der getauft werden will, so dass er innerhalb von drei Tagen alles lesen kann, was er wissen muss.“

Um ehrlich zu sein, hat mich diese Stellungnahme geärgert. Und zwar so sehr, dass ich mich an meinen Computer gesetzt und meinen eigenen Katechismus geschrieben habe – den Katechismus, den man einem Menschen vor der Taufe geben kann. Ich wollte, dass man ihn in drei Tagen durchlesen kann. Auch ich habe ihn in drei Tagen geschrieben – in einem großen Atemzug der Inspiration. Dann, um ehrlich zu sein, musste vieles umgeschrieben, klarer formuliert und nachgebessert werden, doch der anfängliche Text war sehr rasch geschrieben. In diesem Katechismus habe ich mich bemüht, die Grundlagen des orthodoxen Glaubens so verständlich und einfach wie nur möglich darzulegen, die Lehre über die Kirche und ihren Gottesdienst zu erläutern und über die Grundlagen des sittlichen Lebens der Christen zu sprechen.

 

Sie schreiben sehr gut kurze Texte über die Glaubenslehre – für Übersetzungen ins Englische benutzen wir ständig Ihre Bücher.

Hier war das Wichtigste, nichts Überflüssiges zu schreiben. Ständig musste ich mich beschränken, denn natürlich kann man zu jedem Thema mehr sagen, doch ich versetzte mich in den Menschen hinein, der getauft werden will: Was muss man diesem Menschen geben, damit er etwas über den orthodoxen Glauben erfährt? Als Ergebnis entstand ein Katechismus für diejenigen, die sich auf die Taufe vorbereiten, und für diejenigen, die irgendwann einmal getauft worden sind, aber nicht kirchlich sozialisiert sind, und für alle, die mehr über ihren Glauben wissen wollen.

Übrigens schrieb ich dank der Tatsache, dass wir nicht zum Panorthodoxen Konzil gegangen sind. Ich hatte zwei Wochen für den Aufenthalt auf Kreta eingeplant, doch da wir die Entscheidung getroffen hatten, nicht dorthin zu reisen, hatte ich unerwartet ganze zwei Wochen frei. Diese Zeit habe ich mit dem Katechismus verbracht: In drei Tagen habe ich ihn geschrieben und in einer Woche überarbeitet.

 

Wird es also in naher Zukunft zwei Katechismen in der Kirche geben: einen ausführlichen großen Katechismus und einen Band für Anfänger?

Diese zwei Bücher haben einen verschiedenen Status. Das eine ist ein gemeinschaftlich erarbeiteter Text, und ich hoffe, dass wir ihn in die erforderliche Fassung bringen und die kirchliche Zustimmung für diesen Text erhalten werden. Für das, was ich jetzt geschrieben habe, trage ich als Autor die Verantwortung. Und ich hoffe, dass dieser Katechismus Verwendung finden wird, unter anderem in Situationen, wenn ein Mensch getauft werden will und sagt: „Gebt mir ein Buch, damit ich es in drei bis vier Tagen lesen und mich vorbereiten kann“. Zu diesem Zweck wurde das Buch geschrieben.

 

Soeben ist Ihr Buch über Christus erschienen. Es heißt „Anfang des Evangeliums“. Als ich es geöffnet habe, hat es mir einfach die Sprache verschlagen – das ist wirklich ein notwendiges, bedeutsames und phantastisch ausgestattetes Buch. Seit langem habe ich irgendwie das Interesse an Neuerscheinungen verloren, doch hier habe ich das erste Kapitel zu lesen begonnen und verstanden, dass ich nicht aufhören kann und umgehend hundert Exemplar als Geschenke bestellen muss. Ganz herzlichen Dank, das ist eine wunderbare freudige Neuigkeit, denn heute sprechen und schreiben alle über alles Mögliche, nur nicht über Christus. Ich hoffe, es wird ein Bestseller werden.

Viele Bücher werden heute über alles Mögliche geschrieben, und wir wissen überhaupt nicht, wie man über Christus schreiben und mit den Menschen über Christus in unserem Leben sprechen soll. Wir wissen, wie man irgendein Gebet liest, wie man in der Beichte spricht, doch Christus vermissen wir sehr im täglichen christlichen Leben.

Bis zu diesem Buch habe ich sehr viele Jahre gebraucht. In gewissem Sinne ist es das Endergebnis von zumindest einem Vierteljahrhundert meiner Entwicklung, seit ich Vorlesungen über das Neue Testament in dem damals gerade gegründeten St. Tichon-Institut zu halten begann. Das war im Akademischen Jahr 1992-1993. Damals kam ich zum ersten Mal nicht nur mit dem Evangelium in Berührung, das ich natürlich von Kindheit an las, sondern auch mit Fachliteratur zum Neuen Testament. Doch damals gab es wenig Literatur, unser Zugang dazu war begrenzt. Und meine theologischen Studien bezogen sich vor allem auf die Patristik, d.h. auf die Lehre der Kirchenväter. Ich studierte Patristik in Oxford und schrieb dort eine Dissertation über Simeon den Neuen Theologen. Dann schrieb ich auf der Welle „verbleibender Inspiration“ Bücher über Gregor den Theologen und über Isaak den Syrer. Und später ging dieser große Bestand patristischer Ideen und Gedanken in mein Buch „Orthodoxie“ ein.

Das Buch „Orthodoxie“ beginnt mit Christus, doch ich gehe fast sofort zu anderen Themen über. Das hatte damit zu tun, dass ich noch nicht bereit war, über Christus zu schreiben.

Bei all dem hat mich das Thema ‚Christus’ im Laufe meines Lebens mindestens seit meinem zehnten Lebensjahr beschäftigt. Natürlich las ich das Evangelium, dachte über Christus nach, über Sein Leben, über Seine Lehre. Doch zu einem bestimmten Zeitpunkt – das war ungefähr vor zweieinhalb Jahren – erkannte ich, dass ich mich sehr ernsthaft mit der heutigen Fachliteratur zum Neuen Testament befassen muss. Das hatte damit zu tun, dass ich mit dem Segen des Patriarchen eine Arbeitsgruppe leitete, um Lehrbücher für die geistlich-theologischen Schulen vorzubereiten. Und plötzlich stellte sich in aller Schärfe die Frage nach einem Lehrbuch zum Neuen Testament, zu den vier Evangelien. Ich erkannte, dass ich aus verschiedenen Gründen dieses Lehrbuch selbst schreiben musste. Und um es zu schreiben, war es nötig, mir Kenntnisse im Bereich der wissenschaftlichen Literatur zum Neuen Testament anzueignen.

Meine Weise, mir Materialien der Literatur anzueignen, ist die Zusammenfassung des Inhalts. Bevor ich nicht zu schreiben beginne, kann ich mich nicht auf das Lesen konzentrieren, wie in der bekannten Anekdote über den Menschen, der als Student in das Literaturinstitut kommt und gefragt wird: „Haben Sie Dostojevskij, Puschkin, Tolstoi gelesen?“, und antwortet: „Ich lese nicht, ich schreibe.“

 

Sie haben gesagt, dass Sie in Ihrer Kindheit 500 bis 600 Seiten pro Tag gelesen haben ...

Ja, in meiner Kindheit habe ich viel gelesen, doch von einem bestimmten Augenblick an begann ich viel weniger zu lesen, ich begann nur das zu lesen, was ich brauche, um zu schreiben. Wenn ich schreibe, verarbeite ich das Gelesene.

Anfangs entschied ich, ein Lehrbuch zu schreiben, doch rasch erkannte ich, dass ich zunächst ein Buch schreiben müsse, um zu diesem Ziel zu gelangen. So begann ich das Buch über Jesus Christus zu schreiben, das mit der Zeit zu einem Lehrbuch umgewandelt werden soll. Zunächst nahm ich mir vor, nur ein einziges Buch zu schreiben, doch als ich zu schreiben begann, wurde mir klar, dass diese ganze Unmenge von gesammeltem Material nicht in ein einziges Buch passen würde. Schlussendlich schrieb ich sechs Bücher. Jetzt ist der erste Band erschienen, vier weitere sind vollständig geschrieben und werden der Reihe nach herauskommen, der sechste ist im ersten Entwurf geschrieben. Im Wesentlichen ist das Werk abgeschlossen, obwohl der sechste Band noch eine gewisse redaktionelle Bearbeitung erfordert.

 

Bitte, sagen Sie uns, wie das Buch aufgebaut ist.

Ich habe entschieden, nicht der Chronologie der Ereignisse des Evangeliums zu folgen und abwechselnd Episoden aus dem Leben Christi, Wunder und Gleichnisse zu betrachten. Meine Entscheidung bestand darin, das Material des Evangeliums in große thematische Blöcke einzuteilen.

Der erste Band trägt den Titel „Anfang des Evangeliums“. Darin spreche ich als erstes über den Stand der heutigen neutestamentlichen Wissenschaft und gebe eine allgemeine Einführung in alle sechs Bände. Zweitens betrachte ich die Anfangskapitel aller vier Evangelien und ihre grundlegenden Themen: die Verkündigung, die Geburt Christi, der Aufbruch Jesu zu seiner öffentlichen Predigt, die Taufe durch Johannes, die Berufung der ersten Jünger. Ich gebe eine Art ganz allgemeinen Überblick über den Konflikt zwischen Jesus und den Pharisäern, der schließlich zu seinem Todesurteil führte.

Der zweite Band ist ganz der Bergpredigt gewidmet. Es ist ein Überblick über das christliche sittliche Leben.

Der dritte Band ist vollständig den Wundern Jesu Christi im gesamten vierten Evangelium gewidmet.

Band 4 heißt „Die Gleichnisse Jesu“. Darin werden alle Gleichnisse aus den synoptischen Evangelien – eines nach dem anderen – ausgelegt und betrachtet. Ich spreche über die literarische Form des Gleichnisses und erkläre, weshalb der Herr gerade diese Form für seine Lehrtätigkeit auswählte.

Der fünfte Band – „Lamm Gottes“ – handelt von dem gesamten Originalmaterial des Johannesevangeliums, d.h. von dem Material, das keine Entsprechungen in den synoptischen Evangelien hat.

Und am Schluss steht der sechste Band mit dem Titel „Tod und Auferstehung“. Hier ist die Rede von den letzten Tagen im irdischen Leben des Erlösers, von seinen Leiden am Kreuz, von Tod und Auferstehung und von den Erscheinungen vor den Jüngern nach der Auferstehung sowie von der Aufnahme in den Himmel.

Das ist der Erzählfaden des Buches. Ich musste es vor allem deshalb schreiben, um für mich selbst von Neuem die Ereignisse zu verarbeiten, die das Herzstück unseres christlichen Glaubens darstellen, und um dann auf der Grundlage dieser Werke Lehrbücher für die geistlich-theologischen Schulen zu schreiben.

 

Geht es um einen Überblick, eine Interpretation?

Grundlegend ist der Text des Evangeliums. Er wird auf dem Hintergrund eines breiten Panoramas von Interpretationen betrachtet – angefangen von den ältesten bis zu den zeitgenössischen. Große Aufmerksamkeit widme ich der Kritik der heutigen Zugänge zum Text des Evangeliums, wie sie für westliche Forscher typisch sind.

In der gegenwärtigen neutestamentlichen Wissenschaft im Westen gibt es viele verschiedene Zugänge zu Jesus. Einer davon lautet beispielsweise: Die Evangelien sind sehr interessante literarische Werke, sie alle entstanden Ende des ersten Jahrhunderts, nachdem bereits einige Jahrzehnte nach dem Tod Christi vergangen waren. Es gab eine gewisse historische Gestalt namens Jesus Christus, er wurde ans Kreuz geschlagen, von ihm blieb eine Sammlung von Lehraussagen, die in der Folgezeit verloren ging. Diese Sammlung interessierte die Menschen, sie begannen sich darum herum zu sammeln und bildeten Gemeinden von Jüngern Jesu.

Dann mussten sie trotzdem verstehen, was für eine Art Mensch das war, der diese Lehren vorgetragen hatte, und sie begannen über ihn verschiedene Geschichten zu erfinden: Sie dachten sich die Geschichte seiner Jungfrauengeburt aus, schrieben ihm alle Arten von Wundern zu und legten Gleichnisse in seinen Mund. Doch in Wahrheit waren das alles Produkte von Menschen – umständehalber Matthäus, Markus, Lukas und Johannes genannt –, die einige christliche Gemeinden leiteten und all das aufgrund pastoraler Bedürfnisse schrieben. Soweit ich sehe, ist dieser widersinnige und blasphemische Zugang zum Evangelium in der westlichen neutestamentlichen Wissenschaft quasi vorherrschend.

Es gibt Bücher über die „Theologie des Matthäus“, wo kein Wort darüber verloren wird, dass hinter dieser Theologie Christus steht. Nach Meinung dieser Theologen ist Christus irgendeine literarische Person, die von Matthäus für die pastoralen Bedürfnisse seiner Gemeinde geschaffen worden ist. Darüber hinaus, so schreiben diese Forscher, gab es apokryphe Evangelien, und erst später sortierte die Kirche aus, was ihr nicht gefiel, doch in Wahrheit gab es viel weiteres Material.

Mit einem Wort, um Person und Lehre Christi wurden eine Menge wissenschaftlicher Mythen geschaffen, und statt Sein Leben und Seine Lehre gemäß dem Evangelium zu studieren, studiert man diese von Gelehrten erfundenen Mythen.

In meinem Buch weise ich nach, was für uns orthodoxe Christen offensichtlich ist, was jedoch für zeitgenössische Experten für das Neue Testament gar nicht offensichtlich ist: Die einzige glaubwürdige Auskunft über Christus ist das Evangelium, eine andere glaubwürdige Quelle gibt es nicht. Das Evangelium ist das Zeugnis von Augenzeugen. Wenn Sie wissen wollen, was sich zugetragen hat, dann müssen Sie sich vertrauensvoll auf Augenzeugen beziehen. Wie seine Heiligkeit Patriarch Kirill in seinem Buch „Hirtenwort“ schreibt: Wie können wir uns ein Bild von einem Verkehrsunfall machen? Man muss Zeugen befragen. Der eine stand dort, der andere hier, der dritte noch irgendwo anders. Jeder sah es auf seine Weise, jeder erzählt seine Geschichte, doch zusammengenommen ergibt sich aus den Zeugnissen ein Bild.

Wir lesen das Evangelium und sehen, dass die Evangelisten in vielem übereinstimmen. Doch in einigen Punkten weichen sie voneinander ab, und das liegt natürlich daran, dass jeder ein wenig auf seine Weise gesehen hat. Zugleich ist das Bild Christi nicht aufgespalten, nicht in vier verschiedene Bilder zerteilt. Alle vier Evangelien sprechen von ein und derselben Person. In meinem Buch schreibe ich, dass die Evangelien einem Safe mit Schätzen gleichen, der mit zwei Schlüsseln geöffnet wird: Um die Erzählungen des Evangeliums und ihren Sinn zu verstehen, muss man beide Schlüssel verwenden. Der eine Schlüssel ist der Glaube, dass Jesus Christus ein realer irdischer Mensch mit allen Eigenschaften eines irdischen Menschen war, in allem uns ähnlich, außer der Sünde. Und der andere Schlüssel ist der Glaube, dass Er Gott war. Wenn einer dieser Schlüssel fehlt, werden Sie diese Person, um die es den Evangelien geht, nie verstehen.

 

Wie lautet der Zeitplan für das Erscheinen Ihrer Bücher über Christus?

Der erste Band ist gerade erschienen. Die weiteren Bände werden herausgegeben, sobald sie bereit sind. Insofern ich sie bereits geschrieben habe, hängt ihr weiteres Geschick von den Verlegern ab.

Das Thema ist zu bedeutsam und zu breit. Das hielt mich viele Jahre davon ab, mich an die Arbeit zu einem Buch über Jesus Christus zu machen. Ich umkreiste es, studierte die Kirchenväter, schrieb über die Kirche, wählte verschiedene Fragen der Theologie aus. Doch zur Person Christi konnte ich nicht vordringen.

 

Hatten Sie Angst?

Ich fand meinen eigenen Zugang nicht, meinen Schlüssel. Natürlich studierte ich, was die Kirchenväter über Jesus Christus geschrieben haben, das zeigt sich in meinen Büchern. So gibt es zum Beispiel in meinem Buch „Orthodoxie“ einen ganzen Abschnitt zur Christologie. Doch wenn wir schauen, was die Kirchenväter im dritten und vierten Jahrhundert über die Erlösung geschrieben haben, dann lautete die grundlegende Frage: Wem zahlte Christus das Lösegeld? Sie nahmen den Ausdruck „Erlösung“ im wörtlichen Sinne als „Loskauf“. Und sie stritten darüber, wem das Lösegeld bezahlt wurde. Die einen sagten, das Lösegeld sei dem Teufel bezahlt worden. Andere widersprachen mit Recht: Wer ist denn der Teufel, dass ihm ein so hoher Preis zu zahlen ist? Warum muss Gott mit dem Teufel abrechnen durch das Leben seines eigenen Sohnes? Nein, sagten die Väter, das Opfer wurde Gott dem Vater dargebracht.

Im lateinischen Westen des Mittelalters wurde die Lehre vom Opfer des Erlösers am Kreuz als Mittel zur Genugtuung für den Zorn Gottes entwickelt. Der Sinn dieser Lehre war der folgende: Gott Vater war so erzürnt über die Menschheit, und die Menschheit war aufgrund ihrer Sünden so sehr in Gottes Schuld, dass sie auf keine andere Weise mit Gott ins Reine kommen konnte außer durch den Tod Seines eigenen Sohnes. Angeblich befriedigte dieser Tod sowohl den Zorn Gottes, des Vaters, als auch sein Rechtsurteil.

Für mich ist dieser westliche Traktat unannehmbar. Der Apostel Paulus sagt: „Groß ist das göttliche Geheimnis: Gott erschien im Fleisch“. Ich denke, dass sowohl die Väter der Ostkirche als auch die westlichen Schriftsteller zu ihrer Zeit irgendwelche Antworten auf die Frage suchten, worin dieses Geheimnis besteht, und deshalb schufen sie auch ihre Theorien. Es musste erklärt werden mit irgendwelchen für die Menschen verständlichen Beispielen.

Gregor von Nyssa zum Beispiel sagte, Gott habe den Teufel betrogen. In menschlichem Fleisch stieg Er hinab in die Unterwelt, wo der Teufel herrschte. Der Teufel verschlang ihn, weil er dachte, es sei ein Mensch, doch unter dem menschlichen Fleisch Christi verbarg sich Seine Gottheit, und gleich einem Fisch, der zusammen mit dem Köder den Angelhaken schluckt, verschlang der Teufel auf diese Weise Gott zusammen mit dem Menschen, und diese Gottheit zerstörte die Macht der Unterwelt von innen. Ein schönes und scharfsinniges Bild, doch dem heutigen Menschen mit Hilfe dieses Bildes die Erlösung zu erklären, ist unmöglich. Wir müssen eine andere Sprache finden und andere Bilder.

 

Wie antworten Sie auf diese Frage?

Meiner Meinung nach ist das Größte, was wir über Gott sagen können, dass er uns genau auf diese Weise retten wollte und nicht auf irgendeine andere Weise. Er wollte einer von uns werden. Er wollte uns nicht einfach von irgendwo her aus der Höhe retten, indem er uns Signale sandte, eine helfende Hand ausstreckte, sondern er kam in das Dickicht des menschlichen Lebens, um immer mit uns zu sein. Wenn wir leiden, wissen wir, das Er gemeinsam mit uns leidet. Wenn wir sterben, wissen wir, dass Er uns nahe ist. Das gibt uns Kraft zu leben, gibt uns den Glauben an die Auferstehung.

 

Verehrter Herr Metropolit, Sie haben in großem Umfang Literatur in verschiedenen Sprachen verarbeitet. Wie viele Fremdsprachen beherrschen Sie?

Mehrere Sprachen in auf verschiedenem Niveau. Englisch spreche und schreibe ich fließend. In dieser Sprache habe ich sogar für eine gewisse Zeit gedacht, als ich in England studierte. Französisch spreche und lese ich, und wenn nötig schreibe ich auch, aber nicht so fließend. Griechisch spreche ich, doch ebenfalls weniger sicher (mir fehlt die Praxis), obwohl ich flüssig schreibe. Weiter, in absteigender Folge: Auf Italienisch, Spanisch, Deutsch lese ich, doch ich spreche diese Sprachen nicht. Von den alten Sprachen habe ich Altgriechisch, Syrisch und ein wenig Hebräisch studiert.

 

Wie haben Sie überhaupt Fremdsprachen erlernt?

Alle Fremdsprachen habe ich anhand des Evangeliums gelernt. Immer habe ich mit dem Johannesevangelium begonnen. Dieses Evangelium ist am besten geeignet, um Wörter zu lernen, sie werden beständig wiederholt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott, im Anfang war es bei Gott“. Experten sagen, der Wortschatz des Johannesevangeliums sei zwei Mal geringer als in den übrigen Evangelien, obwohl es dem Fassungsvermögen nach nicht hinter diesen zurückbleibt. Diese nüchterne Knappheit im Wortgebrauch hat damit zu tun, dass viele Wörter wiederholt werden.

Weshalb ist es angemessen, eine Sprache mit dem Evangelium zu erlernen? Aus einem einfachen Grund: Wenn man einen gut bekannten Text liest, den man praktisch auswendig kennt, muss man nicht in ein Wörterbuch schauen, weil man die Wörter erkennt. Und so lernte ich Griechisch. Zunächst las ich das Johannesevangelium, dann las ich die drei übrigen Evangelien, dann begann ich die Apostelbriefe zu lesen, und schließlich habe ich angefangen, auf Griechisch die Kirchenväter zu lesen. Als ich Griechisch studierte, habe ich außerdem Tonbandaufzeichnungen der Liturgie in griechischer Sprache gehört. Ich habe in der Aussprache gelernt, die heute von Griechen benutzt wird.

Die syrische Sprache habe ich ein wenig anders gelernt, das war schon in Oxford, und ich hatte einen ausgezeichneten Professor, den besten Spezialisten der Welt für syrische Literatur, Sebastian Brock. Doch er hat mir immer gesagt: Ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen die Sprache zu studieren, das ist für mich uninteressant, was mich interessiert, ist Texte zu lesen. Dann haben wir gemeinsam begonnen, einen Text von Isaak dem Syrer zu lesen, und ich las parallel auf Syrisch die Evangelien und eignete mir mit Robinsons Lehrbuch die Grundlagen der Grammatik an.

Das Wichtigste in der Sprache ist natürlich die Praxis. Kein Lehrbuch kann die praktische Arbeit mit dem Text ersetzen.

 

Was meinen Sie: Sind heute für Priester Fremdsprachen nötig?

Eine eindeutige Antwort darauf habe ich nicht. Für den einen sind vielleicht Fremdsprachen nicht nötig. Doch eine Fremdsprache ist ja nicht nur aus reinen Nützlichkeitsgründen sinnvoll, um in ihr irgendetwas zu lesen oder zu hören oder um die Möglichkeit zu haben, jemandem etwas zu sagen. Sie ist vor allem sinnvoll, weil sie eine ganz neue Welt eröffnet. Jede Sprache spiegelt das Denken irgendeines Volkes, jede Sprache hat ihre eigene Literatur, ihre Poesie. Ich würde sagen, dass zur allgemeinen Entwicklung eine Fremdsprache nie jemandem schadet. Etwas anderes ist es zu sagen, dass einige Menschen vielleicht keine Begabung für Sprachen oder kein Interesse daran haben.

Fremdsprachen sind nicht unbedingt nötig für die Erlösung, und sie sind auch nicht unbedingt nötig für den pastoralen Dienst. Dennoch meine ich, dass für den Priester, der das Evangelium liest, zumindest gewisse Grundlagen der griechischen Sprache unverzichtbar sind. Nicht umsonst wurden ja im Seminar vor der Revolution Griechisch und Latein studiert – und sei es um den Sinn einzelner Wörter und Ausdrücke zu verstehen, die Christus in seinen Gleichnissen verwendet, um sich auf das griechische Original zu beziehen und es zu vergleichen.

 

Wie strukturieren Sie Ihren Tagesablauf?

Mein Tagesablauf ist meinen Dienstverpflichtungen untergeordnet. Ich habe verschiedene Aufgaben, die mir von der kirchlichen Hierarchie auferlegt wurden sind: Ich bin Leiter der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen und ex officio ständiges Mitglied des Heiligen Synod, Rektor der Gesamtkirchlichen Aspirantura und Vorsteher einer Kirche. Außerdem leite ich eine Menge verschiedener Kommissionen und Arbeitsgruppen, die verschiedene Projekte verwirklichen.

Sechs Tage im Jahr findet eine Sitzung des Heiligen Synod statt, acht Tage pro Jahr sind Sitzungen des Höheren Kirchenrates. Sonntag ist der Tag für die Liturgie. Jeder kirchliche Feiertag ist ein Tag für die Liturgie. Natürlich liegen vor jedem Arbeitstag der Synode zumindest einige Tage der Vorbereitung – wir bereiten Dokumente vor, arbeiten Protokolle aus. Es gibt Anwesenheitstage in der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen und in der Gesamtkirchlichen Aspirantura. Viele Begegnungen finden statt, mit orthodoxen Hierarchen, mit Andersglaubenden, mit Delegationen verschiedener Staaten. Ein sehr wichtiger Teil meiner Tätigkeit sind die Reisen. Während der ersten fünf Jahre meiner Aufgabe als Vorsitzender der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen hatte ich mehr als fünfzig Auslandsreisen pro Jahr. Manchmal flog ich nur nach Moskau, um in ein anderes Flugzeug umzusteigen.

 

Haben Sie mit Flugangst zu kämpfen?

Nein. Doch nach diesen fünf Jahren begann ich weniger zu reisen. Innerhalb der fünf Jahre habe ich alle besucht, die ich besuchen musste, und jetzt kann ich den Kontakt mit sehr vielen durch Telefonanrufe und Emails halten, d.h. ich muss nicht extra irgendwo hinreisen, um mit jemandem zu sprechen.

Weiterhin gilt: Wenn ich früher fast alle eintreffenden Einladungen zu verschiedenen Konferenzen angenommen hat, so fühlte ich in einem bestimmten Moment – und Seine Heiligkeit der Patriarch sagte mir: „Sie sollten nicht so viel reisen. Sie sollten nur zu den wichtigsten Veranstaltungen reisen, bei denen niemand außer Ihnen teilnehmen kann.“ Dementsprechend ist die Zahl der Reisen gesunken – ohne Schaden für die Sache, wie ich meine.

Mein Arbeitsplan besteht im Wesentlichen aus den Sitzungstagen des Synod und des Höheren Kirchenrates, aus den Präsenztagen in der Abteilung für Kirchliche Außenbeziehungen und in der Aspirantura und aus Reisen. Er lässt sich etwa ein Jahr im voraus absehen.

In diesem Arbeitsplan gibt es Pausen, die für mich im Hinblick auf eine – unter Vorbehalt – schöpferische Tätigkeit nötig sind, z.B. um Bücher zu schreiben.

 

An welchen Tagen haben Sie dafür Zeit?

Zunächst an zivilen Feiertagen. Wenn ich die Worte eines bekannten Liedes umformuliere, dann lässt sich sagen: Ich kenne kein anderes Land, in dem es so viele Feiertage gäbe. Neben den Ferien hat das Land zehn Tage im Januar frei, einige Tage im Februar, März, Mai, Juni, November. Diese freien Tage nutze ich auch, um zu schreiben. Sagen wir, die Zeit über Neujahr von Ende Dezember bis Weihnachten ist die Zeit, in der ich schreibe. Ich schreibe auch am Samstag. Das Wort „Freizeit“ im traditionellen Verständnis gibt es bei mir nicht. Wenn ein Tag frei ist von gottesdienstlichen Pflichten, dann schreibe ich an diesem Tag.

 

Schreiben Sie rasch?

Gewöhnlich schreibe ich viel und rasch. Ich kann lange über etwas nachdenken, doch wenn ich mich hinsetze und schreibe, dann liegt mein Durchschnittspensum bei 5000 Worten pro Tag. Manchmal erreiche ich diesen Wert nicht, doch manchmal überschreite ich ihn auch.

 

Das ist mehr als die Maßeinheit für die Produktivität eines Autors!

Ja, so ist es. Bei diesem intensiven Rhythmus lässt sich ein recht großer Textumfang in einem recht kurzen Zeitraum schreiben. Unter Vorbehalt kann ich sagen: Ich brauche zwanzig solcher Tage, um ein Buch im Umfang von 100'000 Worten zu schreiben.

 

Traditionell werden Bücher gemessen nach Zeichen und nach Arbeitseinheiten des Autors ...

Seit meiner Zeit in Oxford messe ich nach Worten. Als ich in Oxford studierte, lag meine Obergrenze für die Doktorarbeit bei 100'000 Worten. Ich überschritt diese Obergrenze und befand mich in einer recht peinlichen Situation: Man verlangte von mir, den Text zu kürzen. Ich kürzte so gut ich konnte, und dennoch war das Limit um fast 20'000 Worte überschritten – bereits nach dem Binden der Dissertation (und das Binden war dort unglaublich teuer). Mein Professor Kallistos Ware musste eigens in das Rektorat gehen und nachweisen, dass für die Darlegung meiner Thematik diese zusätzlichen 20'000 Worte absolut unverzichtbar waren. Seit dieser Zeit bemühe ich mich erstens darum, kurz und knapp zu schreiben, und zweitens berechne ich den Umfang des Geschriebenen in Worten und nicht in Zeichen.

 

Hatten Sie mit Problemen ständiger Ablenkung der Aufmerksamkeit zu tun? Ist Ihr Computer z.B. vom Internet oder von den Emails getrennt?

Nein.

 

Ich erinnere daran, dass Sie Emails in Rekordzeit beantworten.

Wenn ich am Computer sitze und eine Nachricht erhalten, dann versuche ich sofort zu antworten, falls die Nachricht kurz und sachbezogen ist.

Erhalten Sie viele Briefe?

Nicht weniger als dreißig pro Tag.

 

Sollte es nicht gewisse Pausen geben?

Ja, es gibt Pausen zu den Mahlzeiten. Doch seit der Zeit, als ich in der Armee diente, habe ich die Gewohnheit, schnell zu essen (man sagt, das sei schlecht für die Gesundheit). Das Frühstück dauert bei mir 10 Minuten, das Mittagessen 15, das Abendessen 10-15 Minuten. In der gesamten Zeit, in der ich nicht esse, nicht schlafe und nicht bete, arbeite ich.

 

Hochwürdiger Herr Metropolit, sagen Sie uns etwas über Ihre Einschätzung der heutigen Liturgie? Welche Probleme gibt es in der Wahrnehmung der liturgischen Gebete?

Die orthodoxe Liturgie ist eine Synthese von Künsten. In diese Synthese gehen ein: die Architektur der Kirche, Ikonen und Fresken an den Wänden, die Musik, die im Gottesdienst erklingt, Lesungen und Gesänge, Prosa und Poesie, die in der Kirche zu hören sind, und die Choreographie – Einzüge, Auszüge, Prozessionen, Verneigungen. An der orthodoxen Liturgie nimmt der Mensch mit all seinen Sinnesorganen teil. Sicherlich mit dem Gesichts- und dem Gehörsinn, aber auch mit dem Geruchssinn – wir riechen den Duft des Weihrauchs –, mit dem Tastsinn – wir küssen ehrerbietig die Ikonen –, mit dem Geschmackssinn – wir empfangen die Heilige Kommunion, trinken das Weihwasser, erhalten das Antidoron.

Auf diese Weise nehmen wir mit allen fünf Sinnesorganen am Gottesdienst teil. Die Liturgie soll den ganzen Menschen erfassen. Der Mensch kann nicht mit einem Teil seiner Existenz irgendwo an einem anderen Ort sein und mit einem Teil im Gottesdienst – er muss vollständig in die Liturgie eintauchen. Und unsere Liturgie ist so aufgebaut, dass in der Zeit, in der wir uns in die elementare Kraft des Gebetes versenken, wir uns davon nicht absondern können.

Wenn Sie in katholischen oder protestantischen Kirchen gewesen sind, konnten Sie sehen, dass dort die Liturgie in der Regel aus vereinzelten Bruchstücken besteht. Am Anfang singen die Leute irgendeinen Psalm, dann setzen sie sich, hören die Lesungen, dann stehen sie wieder auf. Bei uns ist die Liturgie ununterbrochen. Das hilft natürlich sehr, um sich in die elementare Kraft des Gebetes zu versenken. Unsere Liturgie ist eine Schule der Theologie und Kontemplation, sie ist gesättigt mit theologischen Gedanken. Es ist ganz unmöglich, die Liturgie zu verstehen, ohne zum Beispiel die Lehren der Kirche zu kennen. Aus diesem Grunde scheint unsere Liturgie für viele Menschen unverständlich – nicht weil sie auf Kirchenslawisch gehalten wird, sondern weil sie das Bewusstsein völlig anderer Menschen anspricht.

Nehmen wir an, es kommen Leute und hören den Großen Kanon in der ersten Woche der Großen Fastenzeit. Der Kanon kann auf Kirchenslawisch oder auf Russisch gelesen werden – die Wirkung wird ungefähr dieselbe sein, weil der Kanon für Mönche geschrieben worden ist, die praktisch die Bibel auswendig kannten. Wenn in diesem Kanon irgendein Name erwähnt wurde, dann entstand im Kopf dieser Mönche sofort die Verknüpfung mit irgendeiner biblischen Erzählung, die hier allegorisch in Bezug zur Seele des Christen behandelt wird. Doch heute entstehen bei der Mehrheit der Zuhörer diese Verknüpfungen nicht, und an viele der Namen, die im Großen Kanon erwähnt werden, erinnern wir uns nicht einmal mehr.

Dementsprechend kommen die Leute in das Gebet des Großen Kanons, sie hören, was der Priester liest, doch im Wesentlichen reagieren sie auf den Refrain „Erbarme Dich meiner, o Gott, erbarme Dich meiner“. Und jeder steht dann da mit seinem eigenen Gebet, mit seiner eigenen Bußgesinnung, und das ist in sich natürlich gut und wichtig, aber es ist nicht genau das, wozu der Große Kanon geschrieben wurde. Um die Liturgie zu verstehen und um sie zu lieben, ist es daher natürlich nötig, die Lehren der Kirche und die Bibel gut zu kennen.

 

Sie haben sehr viel mit nicht-kirchlichen Leuten zu tun. Was ist für den priesterlichen Dienst das Wichtigste im Umgang mit Menschen, die weit von der Kirche entfernt sind?

Meiner Meinung nach ist es am wichtigsten, den Menschen so von Gott, von Christus erzählen zu können, dass ihre Augen leuchten und ihre Herzen Feuer fangen. Und damit dies geschehen kann, müssen unsere eigenen Augen glänzen, wir müssen leben, was wir sagen, wir müssen beständig davon entflammt sein, wir müssen in uns selbst das Interesse am Evangelium, an der Kirche, an den kirchlichen Sakramenten, an den Lehren der Kirche entzünden. Und natürlich müssen wir fähig sein, zu den Menschen über komplexe Zusammenhänge in einfachen Worten zu sprechen.

Das Gespräch wurde geführt von Anna Danilova.

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